Christian Linder liebt das Spiel mit der Provokation. Als bewussten Tabubruch inszenierte der FDP-Chef seine Position, dass Deutschland die Annexion der Krim als dauerhaftes Provisorium anerkennen müsse. Anders als er es darstellt, ist das aber kein Zeichen von Mut, sondern von einer eklatanten außenpolitischen Unkenntnis.

Wenn es nach Christian Lindner ginge, wird das Resultat der Bundestagwahl im September das gleiche sein wie in NRW im Mai: Am Ende wünscht er sich eine schwarz-gelbe Regierung. Lindner selbst wäre gerne der strahlende Held, der die FDP aus der Bedeutungslosigkeit direkt wieder zurück in die Regierung geführt hat. Erinnerungen an Westerwelle 2009 werden schnell wach. Umso mehr beim Blick auf die mögliche weitere Karriere: Denn mit Scheel, Kinkel, Genscher und Westerwelle war es in einer Koalition mit Beteiligung der FDP immer deren Vorsitzender, der sich das Außenamt sicherte.

Linder offenbart, wes Geistes Kind er ist

Insofern lohnt es sich, sehr genau hinzuhören, was Lindner im Gespräch mit der Funke Mediengruppe eigentlich geäußert hat. Denn Russland unter Putin hat im Jahr 2014 einen Teil eines souveränen Nachbarstaates annektiert. Bewaffnete besetzten im Februar 2014 das Parlament der Krim, das unter ihrer „Aufsicht“ ein Referendum über deren Unabhängigkeit beschloss. Milizen übernahmen die Kontrolle über die Halbinsel, offensichtlich mit Unterstützung des russischen Militärs. Schon am 16. März folgte ein so genanntes Referendum. Nach der bis heute gültigen Einschätzung der Bundesregierung verstieß das gegen internationales Recht, genau wie die folgende Abspaltung der Krim von der Ukraine und deren Anschluss an Russland. Die EU reagierte auf den Bruch des Völkerrechts mit Sanktionen, die bis heute bestehen.

Das alles soll jetzt nicht mehr so schlimm sein? Lindner offenbart damit, wes Geistes Kind er ist.

1. Außenpolitischer Dilettant

Die Botschaft an Putin ist: Du kannst das Völkerrecht brechen; aus Sicht der FDP reicht es, wenn anschließend ein paar Jahre Sanktionen bestehen. Danach gilt: Schwamm drüber. Das ist genau der falsche Weg. Wenn eine Ursache eine Strafe nach sich zieht, dann kann die Strafe erst dann aufgehoben werden, wenn die Ursache entfallen ist. Andernfalls wird Putin neben den wirtschaftlichen Vorteilen selbstverständlich den Erfolg als Propaganda für sich ausschlachten: Dass er es nämlich war, der von Anfang an im Recht gewesen ist, und die Europäische Union nun endlich auch auf den Pfad der Wahrheit zurückgefunden hat. Dazu sei in Erinnerung gerufen, dass Russland derzeit noch nicht einmal den ersten Punkt des Minsker Abkommen erfüllt, die Waffenruhe in der Ostukraine.

Kurz: Wer vor Putin zurückweicht, macht einen großen Fehler, denn er besänftigt ihn nicht, sondern verschafft ihm einen Erfolg und bestätigt seine Handlungen. Und macht damit den Weg frei für neue Vorhaben – die Experten heute zwar noch für unrealistisch halten, aber das galt noch 2013 auch für eine Annexion der Krim durch Russland. Die baltischen Staaten werden sich herzlich bedanken.

Appeasement ist der falsche Weg. Vor dem Hintergrund der illegalen Lieferung von Siemens-Gasturbinen auf die Krim und zuletzt noch weiter verschärften Sanktionen ist der Vorschlag umso unverantwortlicher.

2. Innenpolitischer Populist

Zweifellos zielt Linders Vorschlag auch auf diejenigen Linken, die Kritik an Russland stets mit dem Hinweis abtun, die USA seien doch viel schlimmer und das müsse man auch sagen dürfen. Darf man auch. Aber die USA sind eine funktionierende Demokratie (trotz des seltsamen Wahlrechts, das einen US-Präsident ermöglicht, der drei Millionen Stimmen weniger erhalten hat als seine Gegenkandidatin). Das heutige Russland hat dagegen klare autokratische Züge, es ist ein Land, in dem die Opposition nur zum Schein existiert, unabhängige Medien mundtot gemacht werden, kritische Politiker regelmäßig nach Scheinprozesses im Gefängnis landen oder gar einen Mordanschlag fürchten müssen, in dem Demonstrationen niedergeknüppelt und internationale NGOs als „ausländische Agenten“ verdächtigt werden.

Natürlich ist Russland ein Land, in dem es sich gut leben lässt, das darf man nicht vergessen. Moskau gehört zu den modernsten Städten Europas. Doch eine kritische Perspektive gegenüber der Regierung verbirgt man besser, wenn man dort gut, gerne und sicher leben möchte.

Und die Bundesrepublik Deutschland tut gut daran, dies genau so zu benennen, wie es ist. Lindner dagegen verrät die Werte Deutschlands für ein paar Wählerstimmen.

3. Zynischer Klientelpolitiker

Das eigentliche Ziel seiner Einlassung ist aber natürlich die deutsche Wirtschaft. Diese fordert schon lange ein Ende der Sanktionen, aus Angst um Marktanteile und Direktinvestitionen in Russland. Dabei hat die deutsche Exportwirtschaft nun wirklich keinen Grund zur Klage. Und eine glaubwürdige, wertebasierte Außenpolitik darf nicht dem kurzfristigen Profitinteresse zum Opfer fallen, wenn Deutschland als internationaler Akteur glaubwürdig bleiben will. Dies schiebt Lindner lässig beiseite.

Die „Welt“ fasst korrekt zusammen: „Mit seinen russlandfreundlichen Äußerungen stellt sich der FDP-Chef in die Tradition Genschers: In Sonntagsreden von Freiheitswerten reden – und dann doch mit Diktaturen kuscheln.“

Wo ist die Kanzlerin?

Bei kritischer Betrachtung fällt Lindners Vorstoß in sich zusammen. Nur ein Aspekt bleibt: Der FDP-Chef hat den Wahlkampf verstanden, er provoziert und setzt ein Thema, das zudem noch zu seiner Zielgruppe passt. Kurz: Er ist im Gespräch. Gut für den Wähler ist daran lediglich, dass er sich zu erkennen gibt: als Dilettant im Wolfspelz.

Die anderen Parteien, insbesondere die Volksparteien, sind nun aufgerufen, energisch zu widersprechen. Und wo ist eigentlich Angela Merkel? Schließlich ist es ihr potenzieller Koalitionspartner, der sich dort so eindeutig gegen die von ihr im Kern verantwortete Politik der EU gegenüber Russland stellt. Ihn kann sie nicht im Außenamt wollen.

Und der Wähler kann es erst Recht nicht.