Inga Weber ist die Vorsitzende des Vereins Street Angels Cologne, der in Köln Obdachlosen hilft. Ganz am Anfang stand ein fehlender Topf: Ursprünglich wollte sie nur einmal Suppe kochen, vorbeibringen und wieder nach Hause fahren. Doch vor Ort gab es kein Gefäß, in das sie ihre Suppe umfüllen konnte. Also blieb sie, packte mit an – und machte Schritt für Schritt immer mehr. Heute kämpft sie für bessere Bedingungen für die Obdachlosen-Initiativen.
Im Gespräch erzählt sie davon, wie die Hilfsbereitschaft vor Weihnachten explodiert und anschließend einbricht, von ihrem Kampf für einen wind- und wetterfesten Standort und dass die Stadtverwaltung bisweilen sogar vergisst, dass sie und andere Organisationen überhaupt existieren.
Liebe Inga, für die, die es nicht wissen: Was machen die Street Angels genau?
Wir verteilen am Breslauer Platz Essen, Kleidung und Hygieneartikel an Obdachlose, alle zwei Wochen sonntags und montags. Der Montag ist es noch eine recht junge Verteilung, das machen wir erst seit Anfang November. Aber es wird schon recht gut angenommen. Da haben wir so im Moment um die 30 Gäste, sonntags sind es regelmäßig über 150.
Wie viele Obdachlosen-Initiativen gibt es insgesamt?
In Köln sehr viele, schätzungsweise 15-20 Initiativen. Zudem gibt es viele kleine Gruppen. Die Versorgung findet an sieben Tagen die Woche statt. Das ist sehr ungewöhnlich im Gegensatz zu anderen Großstädten. Köln ist eine der am besten organisierten Städte in ganz Deutschland.
Wie ist die Unterstützung seitens der Stadt Köln?
Es gibt die Winter-Hilfe in Köln, aber die einzelnen Gruppen werden nicht von der Stadt unterstützt.
Wir arbeiten ohne Strom und ohne fließendes Wasser, obwohl bekannt ist, dass dort seit Jahren Initiativen Obdachlose unterstützen.
Das sieht man schon bei uns am Breslauer Platz: Wir arbeiten ohne Strom und ohne fließendes Wasser, obwohl bekannt ist, dass dort seit Jahren Initiativen Obdachlose unterstützen. Und man sieht es auch daran, dass dort das Corona-Testzentrum eröffnet wurde und die Stadt einfach vergessen hat, dass an genau dem Standort Essen an Obdachlose verteilt wird.
Wie bist du selbst dazu gekommen, dich in der Initiative zu engagieren?
Ich habe im Jahr 2016 das erste Mal einen Aufruf gesehen, für 20 Leute Suppe gekocht und vorbeigebracht. Das fand ich spannend, habe mich aber geärgert, weil ich noch nicht mal ein Dankeschön von der Gruppe bekommen habe. Danach habe ich Ende 2017/Anfang 2018 wieder angefangen, als ich einen Aufruf einer anderen Gruppe gelesen habe, dort habe ich ebenfalls Essen gekocht und vorbeigebracht. Ich wollte eigentlich gar nicht bleiben, ich dachte, ich schütte das Essen um und gehe wieder. Es gab vor Ort aber keine Töpfe zum Umfüllen und so bin ich geblieben. Als sich herausstellte, dass wir zu wenige Helfer waren, hat Claudia, unsere Stammälteste, gesagt: „So, du musst jetzt mit anpacken. Es nützt nix.“ Dann habe ich eben mit angepackt und beim nächsten Mal wieder geholfen. Und dann bin ich dabei geblieben.
Und inzwischen hast du sogar im Vorstand die Verantwortung übernommen.
Das hat sich ergeben. Die Vorsitzende war sehr überlastet, daher habe ich sie erst unterstützt. Als es für sie später gar nicht mehr ging, wurde ich gefragt, ob ich den Vorstand übernehmen würde. Das wollte ich eigentlich gar nicht, aber dann bin ich es geworden.
Wie entwickelt sich die Hilfsbereitschaft für die Obdachlosen vor Weihnachten?
Anfang November geht‘s los mit den Anfragen, im Dezember kommen dann um die zehn Anfragen am Tag. Deswegen sagen wir schon im Oktober, dass Leute, die helfen wollen, sich einer der Gruppen anschließen sollen. Sonst kommt es zu einer Überversorgung. Das haben wir dieses Jahr extrem erlebt. Einige Obdachlose kamen zu uns und hatten schon fünf Tüten von den anderen Verteilungen in der Hand.
Wie sieht es nach Weihnachten aus?
Nach Weihnachten nimmt das rapide ab. Im Moment haben wir quasi gar keine Anfragen mehr. Aber das ist typisch. Jetzt in Corona-Zeiten sind allerdings die Anfragen vor Weihnachten nochmal extra explodiert und entsprechend schnell auch wieder gesunken.
Nach Weihnachten nimmt die Hilfsbereitschaft rapide ab. Im Moment haben wir quasi gar keine Anfragen mehr.
Wir haben das Glück, dass wir sehr viele Stamm-Spender haben, die regelmäßig unterstützen. Wir blocken alle ab, die nur an Weihnachten helfen wollen. Wir brauchen Leute, die regelmäßig helfen. Unsere Gäste vertrauen auf uns.
Ihr habt ja sehr dafür gekämpft, dass ihr in der Ausgabestelle ein festes Dach und eine Seitenwand erhaltet. Jetzt gibt es endlich Bewegung. Was wird gemacht, und warum hat das so lange gedauert?
Unser neuer Standort hat nur ein zu kleines, undichtes Dach, dort sind die Gäste und wir nicht vor Regen und Wind geschützt. Wir sind jetzt seit September schon dran, dass endlich etwas passiert, und haben immer wieder aufgerufen und um Hilfe gebeten. Die Stadt bzw. Herr Dr. Rau, der Sozialdezernent, hat immer wieder gesagt: „Ja, ist doch alles passiert und Sie werden nur geduldet. Sie werden keine Nutzungserlaubnis bekommen.“ Aber dadurch, dass wir so laut waren und so viele Leute unterstützt haben, ist endlich etwas passiert. Die Urbacher Räuber, Michael Pätzold, du, Christian Joisten, Jochen Ott, Sigita Gelbach und viele andere Politiker haben sich dafür eingesetzt.
Dadurch, dass wir laut waren und so viele Leute unterstützt haben, ist endlich etwas passiert.
Die Berufsfeuerwehr der Stadt Köln versucht jetzt, das Dach abzudichten. Herr Laschet von der Feuerwehr hat mir versprochen, dass die Rückwand repariert und weiter nach vorne gesetzt wird.
Was würdet ihr euch konkret wünschen, um eure Arbeit zu verbessern?
Es würde uns sehr helfen, wenn wir Strom und Wasser bekommen würden. Außerdem einen festen, vernünftigen Standplatz, wo wir dauerhaft stehen dürfen. Und wir brauchen Sozialarbeiter, die vor Ort sind und den Leuten helfen, Fragen beantworten, die wir nicht beantworten können. Die auch die Leute mal an die Hand nehmen.
Und was bräuchte es dafür, die Ursachen des Problems der Obdachlosigkeit lösen?
Das Thema Housing First sollte in Deutschland angegangen werden. Damit die Leute nicht zuerst alkohol- und drogenfrei werden sollen und erst dann eine Wohnung bekommen. Das ist für die meisten in der Obdachlosigkeit nicht möglich. Das schafft man auf der Straße nicht alleine. Da sollten mehr Sozialarbeiter und Streetworker eingesetzt werden. Bei Housing First kommen die Leute erst in eine Wohnung, denn von da aus ist es einfacher, ihre Sucht zu besiegen, um dann in Lohn und Brot zu kommen.
Bei Housing First kommen die Leute erst in eine Wohnung, denn von da aus ist es einfacher, ihre Sucht zu besiegen.
In die Obdachlosenheime gehen Obdachlose nicht gerne. Aber die Initiative Helping Hands hat zum Beispiel während des Lockdowns eine Jugendherberge angemietet. Dort sind jetzt 30 Obdachlose untergebracht. Sie werden versorgt und haben ein Dach überm Kopf. Das ist etwas, das wirklich hilft. Aber das schafft man nicht alleine. Da braucht man die Unterstützung der Stadt.
Danke dir für das Gespräch!