Veranstaltungen, Feste, Karnevalssitzungen – wenn gefeiert wird, muss immer der Sound stimmen. Das ist der Job von Achim Helmrich. Seit 36 Jahren in der Branche und seit 22 Jahren selbstständig, ist der Kölner Tontechniker eine Institution. Er arbeitet unter anderem als fester Techniker für die Band Miljö und muss sogar Aufträge anlehnen – wenn, ja wenn nicht gerade Corona-Krise ist.
Die Schließungen im Kulturbereich treffen auch die Eventbranche hart. Eine Branche, die pro Jahr 130 Milliarden Euro Umsatz macht und mehr als 1,5 Millionen Beschäftigte hat: Die Künstler selbst, aber auch die Techniker hinter der Bühne, Veranstalter, Tontechnik, Roadies und viele mehr. Achim und ich kennen uns aus Poll schon lange – ich habe mit ihm darüber gesprochen, wie die aktuelle Krise und der Corona-Lockdown die Branche trifft.
Lieber Achim, dieses Jahr konnten kaum Konzerte und Veranstaltungen stattfinden. Wie hast du die Situation erlebt?
Seit dem ersten Lockdown in diesem Jahr konnten wir insgesamt 18 Veranstaltungen durchführen, mit den Auftritten von Milijö und anderen Künstlern. Auf der anderen Seite sind ungefähr 180 Veranstaltungen ausgefallen, also fast 90 Prozent. Dazu kommen noch all die Straßenfeste und Großveranstaltungen: Stadtfeste, die zwei, drei Tage lang gehen oder Festivals, zu dem mehrere tausend Leute kommen. Die sind komplett weggebrochen.
Wie ist die Auftragslage für dich persönlich?
Ich bin mit meinen über 50 Jahren schon etwas länger im Geschäft und dadurch ganz gut vernetzt. Dadurch kommen auch unverhofft Aufträge, die in den in den Jahren vorher nicht realisierbar gewesen wären, weil ich zu viel zu tun hatte. Gerade haben wir zum Beispiel eine Weihnachts-CD mit einem Organisten und einem Tenor realisiert. Die läuft wie geschnitten Brot. Es gibt schon 400 Bestellungen, und das in Zeiten, in denen vor allem gestreamt wird.
Wie sind die Auswirkungen dadurch, dass Karneval ausfällt?
Karneval ist eine Industrie für sich. Von Januar bis Aschermittwoch wird nur im Kölner Stadtgebiet ein Umsatz von 600 Millionen Euro gemacht. Schon eine einzelne Band oder ein bekannter Redner wie Bernd Stelter macht in dieser Zeit einen Umsatz im sechsstelligen Bereich. Das ist ein sehr hoher Anteil am Jahresumsatz.
„Von Januar bis Aschermittwoch wird nur im Kölner Stadtgebiet ein Umsatz von 600 Millionen Euro gemacht.“
Mit Milijö haben wir in den knapp zwei Monaten einer Karnevalssession zwischen 160 und 180 Auftritten. Die anderen 160 bis 180 Auftritte verteilen sich auf das restliche Jahr. Da kann man sich gut vorstellen, was der Karneval für einen Anteil am Jahr hat.
Wie sieht denn die Situation für das nächste Jahr aus?
Die Stornierungen gehen jetzt schon bis zum Juni. Klar, dass sich in einer solchen Situation niemand traut, etwas langfristig zu organisieren. Gerade unsere Branche trifft der Lockdown hart und wir fühlen uns nicht nur allein gelassen, sondern wir werden allein gelassen. Zum dritten Mal sind Versprechungen gemacht worden und es gibt noch immer kein vereinfachtes Verfahren für uns, um Mittel bereitzustellen.
Was muss passieren, um die Situation zu verbessern?
Die Hilfen sind zu kompliziert gestaltet und in den Formulierungen so unklar, dass sich selbst die Steuerberater reinfuchsen müssen. Es wäre das einfachste, für uns Solo-Selbstständige einen Unternehmer-Lohn als Pauschale festzusetzen.
„Die Hilfen sind zu kompliziert gestaltet.“
Auch in Bezug auf die Bearbeitungszeit und den Aufwand wäre das für alle Seiten eine Win-Win-Situation. Und zusätzlich eine Betriebskosten-Pauschale oder die Möglichkeit, Betriebskosten als Fixkosten abzurechnen. Damit wäre uns geholfen.
Mal ganz direkt gefragt: Wovon lebst du im Moment?
Ich bin persönlich bin noch in einer relativ komfortablen Situation. Ich kann froh sein, dass ich gut gewirtschaftet habe, sodass ich noch von Rücklagen leben kann. Aber große Sprünge kann ich nicht mehr machen und die private Altersvorsorge ist erstmal auf Eis gelegt. Ich schaffe es immerhin, meine Krankenversicherung zu bezahlen. Zuschüsse gibt es nur für die Betriebskosten wie Fahrzeug und Lagerhaltung.
Wie ist das für diejenigen, die noch nicht so lange dabei sind oder weniger Rücklagen haben?
Ich weiß von namhaften Kollegen aus der Branche, die sich bereits gezwungen sahen, einen neuen Job zu suchen. Die arbeiten jetzt 9-to-5. Wenn die sich daran gewöhnt haben – und ihre Familien auch – dann bleiben die bei dem Job und sie gehen unserer Branche verloren.
„Ich kenne auch Kollegen, die schon Hartz IV beantragen mussten.“
In diesem Job muss man mit Leidenschaft dabei sein, auch wegen der ungewöhnlichen Arbeitszeiten. Ich kenne auch Kollegen, die schon Hartz IV beantragen mussten, das werden immer mehr. Die meisten möchten das gar nicht zugeben.
Wie sieht es mit Hilfen und Spenden aus?
Die Leute in der Branche sind es eher gewohnt, selbst Benefiz-Veranstaltungen zu machen, als Spenden für sich zu erhalten. Hier in Köln gibt es eine Initiative, die Geld für die Künstler und auch für die Techniker der Kölner Bands gesammelt hat.
„Hier in Köln gibt es eine Initiative, die Geld für die Künstler und auch für die Techniker der Kölner Bands gesammelt hat.“
Es ist toll zu erfahren, dass da eine unheimliche Solidarität ist. Auch ich bin gefragt worden, ob ich etwas annehmen wollte, das habe ich aber abgelehnt. Es gibt wirklich Leute, die komplett am Rand ihrer Existenz kratzen.
Till Brönner hat in einem viel beachteten Video über die 1,5 Mio. Menschen in der Branche gesagt: „Wir in der Veranstaltungs- und Kulturbranche sind noch immer zu leise, weil wir keine ernst zu nehmende Gewerkschaft haben.“ Wie siehst du das?
Ein großer Teil ist selbstständig, da bist du nicht in der Gewerkschaft. Es gibt einige Verbände in der Branche, die sich zusammengetan und die Alarmstufe Rot gegründet haben. Es gab hervorragende Demos in Berlin oder Düsseldorf. Allerdings war die Resonanz nicht sehr groß. Kein Fernsehsender hat es für nötig gehalten, vernünftig darüber zu berichten. Einzig das ZDF-Morgenmagazin hat immer wieder über die Situation in der Kunst- und Kulturbranche berichtet. Dunja Hayali hat aus Berlin sehr gut berichtet. Aber das Thema scheint bei der Politik und der Öffentlichkeit keine große Resonanz zu erhalten.
Vielleicht wird das Angebot an Kultur und Veranstaltungen für zu selbstverständlich genommen.
Ja, woran liegt das? Ich habe eine ganz einfache Erklärung, die nicht gerade nett ist: Wenn man in der Veranstaltungsbranche große Konzerne hätte, die Vorstandsposten vergeben könnten, dann würde es uns vielleicht besser gehen. Ich denke da an einen Pofalla, der irgendwann bei der Deutschen Bahn eingekehrt ist.
Dabei gibt es auch in der Branche wichtige Betriebe.
Es wird oft übersehen, dass wir eine große Zuliefererindustrie haben. In Köln sitzen etliche Firmen für Veranstaltungstechnik. Wir haben hier einen der größten Vertriebe für Lautsprecher, die Firma RCF/dB-Technologies Deutschland. Die ist der Marktführer in Deutschland mit einem Marktanteil von über 40 Prozent im Bereich Aktiv-Lautsprecher. Das Mutterhaus sitzt in Italien und der Vertrieb in Deutschland hier in Porz-Gremberghoven.
Gab es bei dir eine Phase, in der du gedacht hast, hätte ich mal lieber einen sicheren Bürojob gemacht?
Nein, ich habe ja bewusst vor 20 Jahren den 9-to-5 Job an den Nagel gehängt. Ich habe gewusst, dass das ein Risiko mit sich bringt. Dieses Jahr wäre ein verdammt gutes Jahr gewesen. Die Auftragslage war sensationell gut. Und dann ist alles zusammengebrochen.
„Dieses Jahr wäre ein verdammt gutes Jahr gewesen. Die Auftragslage war sensationell gut.“
Aber ich hab schon diverse Überlegungen angestellt, so ein anderer Job, der sicherer ist, wäre schon nicht verkehrt.
Wie geht es nächstes Jahr weiter – kommen die Leute zurück auf die Konzerte, wenn es den Impfstoff gibt?
Es wird noch ein bisschen Zeit brauchen. Aber die Leute brauchen Veranstaltungen und Ablenkung. Und wenn wir endlich soweit sind, dass der Lockdown weg und der Impfstoff da ist, dann kommen auch die Leute zurück. Unsere Buchungen für 2022 lassen ganz stark hoffen, das Buchungsverhalten ist enorm. Wir können auf unseren Veranstaltungen dafür sorgen, dass die Leute sicher sind. Auf dem Weg hin und zurück in den öffentlichen Verkehrsmitteln muss man sich natürlich an die Maskenpflicht halten.
Danke für das Gespräch und für das positive Schlusswort!