Seit Anfang dieser Woche dürfen die SPD-Mitglieder über ihre neue Parteispitze abstimmen. Damit beginnt die nächste Phase in einem Marathon-Verfahren: Die zu Anfang noch 17 Kandidatinnen und Kandidaten haben sich auf 23 Regionalkonferenzen vorgestellt, in ganz Deutschland und über mehrere Wochen hinweg.

Das hat wesentlich besser funktioniert, als viele Kommentatoren vorab vermutet haben, und nebenbei gezeigt, wie viel Leben und Wille zur Veränderung in der Partei steckt. Die Mitglieder – die viel beschworene Basis – strömten zu tausenden in die Veranstaltungen.

Die Frauen und Männer auf der Bühne konnten überzeugen, haben inhaltliche Alternativen benannt und sind zur Übernahme von Verantwortung bereit. Sie bringen sehr unterschiedliche Hintergründe mit, damit zeigen sie die Vielfalt der Partei. Vor allem stehen sie für einen vorbildlichen Umgang miteinander: Respektvoll, wertschätzend, auch bei klaren Unterschieden in der Sache ohne persönliche Angriffe.

Trotzdem verstehen wir vielleicht erst in ein paar Jahren, was für ein disruptiver Wandel das ist, den wir gerade erleben. Es ist nicht weniger als eine Revolution in der SPD. Plötzlich kann theoretisch jedes SPD-Mitglied für den Vorsitz kandidieren – und sich dabei Chancen ausrechnen.

Vorsitz: Auf einmal eine Option für alle

Von jetzt auf gleich muss man nicht mehr jahrelang in der Parteispitze gedient haben und deutschlandweit bekannt sei, um Vorsitzende*r werden zu können. Plötzlich haben auch die nicht angepassten, die keine jahrelange Parteikarriere hinter sich haben, eine Chance, ganz nach oben zu kommen. Ohne dass sie ihre Kanten in jahrelangen Kämpfen abgeschliffen haben, um möglichst wenig Kritik auf sich zu ziehen, weil man so am besten nach oben kam.

Das ist eine riesige Chance, denn gerade das Anecken hat die SPD verlernt. Die Menschen erwarten von ihr, dass sie klare Standpunkte vertritt und bis zum Ende für ihre Überzeugung kämpft, wenn sie der Meinung ist, dass es vielen Menschen damit besser geht. Dazu gehört, dass sie sich mit den Verhältnissen nicht zufrieden gibt, sondern sie ändern will, und sich mit denen anlegt, die etwa von der ungleichen Verteilung von Einkommen und Vermögen profitieren – obwohl gerade sie es sind, die sich oft in der öffentlichen Diskussion leichter Gehör verschaffen können.

Basis-Beteiligung wird bleiben

Hinter diesen offenen Prozess wird die Partei kaum mehr zurückkommen. Das ist gut so. In den letzten Jahren wurden zu oft diejenigen aufgestellt, die schon lange in Verantwortung waren, auf die es ohnehin hinauslief. Die Entscheidung traf ein kleiner Kreis. Nur selten trauten sich Außenseiter eine Gegenkandidatur zu.

Damit könnte es nun dauerhaft vorbei sein. Wer als Partei einmal mit diesem riesigen Aufwand alle Mitglieder befragt, ihnen damit das Vertrauen ausspricht, gleichzeitig die Demokratie stärkt und die SPD schon damit modernisiert, kann nicht ohne Weiteres zum alten Verfahren zurückkehren. Auch wenn der jetzt gewählte Weg Schwächen hatte – zum Beispiel die unterschiedlichen Kriterien für die Kandidatur in diesem Prozess und auf dem Bundesparteitag: Es ist nur schwer vorstellbar, dass einst die Nachfolger des jetzt gewählten Duos ohne Beteiligung der Basis ausgewählt werden.

Prozess macht Partei für viele wieder wählbar

Werden die neuen Vorsitzenden die SPD wieder nach vorne bringen, werden sie für eine Mehrheit wählbar sein? Dafür gibt es keine Garantie. Aber der Prozess liefert einen Anhaltspunkt. Die rund 430.000 SPD-Mitglieder sind zwar nicht repräsentativ für alle Menschen in Deutschland. Aber weil die meisten von ihnen stille Mitglieder sind, die selten mit den Parteistrukturen in Kontakt kommen, sind sie doch jener deutlich größeren Bevölkerungsgruppe sehr ähnlich, die sozialdemokratische Einstellungen teilt und damit potenziell SPD wählen könnte.

Insofern könnte der Prozess jetzt Persönlichkeiten an die Spitze der SPD bringen, die auch für die Millionen Menschen wieder wählbar sind, die einst SPD gewählt haben und das aus verschiedenen Gründen seit einiger Zeit schon nicht mehr tun.

Letztendlich müssen Politiker*innen Wahlen gewinnen. Sie müssen es schaffen, viele Menschen in einem demokratischen Prozess hinter sich zu bringen. Wer auch immer beim Parteitag Anfang Dezember an die Spitze der SPD gewählt wird: Diese beiden haben zu diesem Zeitpunkt gezeigt, dass sie Menschen überzeugen und eine Wahl gewinnen können. Das sind sehr gute Startbedingungen.